Wem das zu langweilig wird, dem ist nicht zu helfen!

Frau Dr. Bellert, anders als Sie wollen immer weniger junge Mediziner Hausarzt werden. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Das Medizinstudium ist rein universitär, außer in einer kurzen Famulatur kann man sich kein Bild von der Tätigkeit des Hausarztes machen. Stattdessen wird von der „High-End-Medizin“ geschwärmt, die als toll und richtig verinnerlicht wird. Dementsprechend existiert eine oft despektierliche Haltung der Hochschulmedizin gegenüber den Hausärzten an der so genannten „Basis“.

Ist diese Basis denn nichts wert?

Auch mir wurde nach meiner langen Klinikzeit erst richtig klar, welch eine hohe Anforderung Allgemeinmedizin eigentlich ist und das, obwohl ich viele Nachtdienste mit Schwerstkranken und Notfallambulanz allein gestemmt hatte. Natürlich gibt es viel Banales wie Schnupfen und Husten, aber in all dieser Banalität wirkliche Probleme zu erkennen und kluge Schritte einzuleiten, dies menschengerecht und doch professionell zu lösen – das will gelernt sein.

Nach abgeschlossener Weiterbildung wollen Sie sich als Allgemeinmedizinerin in Freiburg niederlassen. Was sind die größten Hürden auf dem Weg zur Niederlassung?

Man kann von Glück reden, wenn man nach Medizinstudium und Weiterbildung zu einem guten Autodidakt geworden ist. Niemand kann einem umfassend und strukturiert erklären, wie eine Niederlassung konkret angegangen werden muss.

Was ist ein Kassensitz? Wie viel kostet der? Wie komme ich an den ran? Wie sind die Übergangszeiten? Ach so…, die Facharztprüfung kann innerhalb von ein bis drei Monaten nach Antragsstellung stattfinden! Ach so…, den Zulassungsantrag darf ich erst mit abgeschlossener FA-Prüfung stellen und nach Antrag kann es nochmals bis zu drei Monate dauern, bis mir dieser gewährt wird! Und in der Zwischenzeit kann ich keinem Praxisabgeber verbindliche Daten nennen und muss mich womöglich sechs Monate lang arbeitssuchend melden? Ist das wirklich so?

Soweit kam ich nach ermüdenden Eigenrecherchen berichten, womit natürlich nicht gesagt ist, dass ich den effizientesten Weg gegangen bin– dennoch gibt es definitiv Bedarf nach Führung durch diesen Vorschriftendschungel, nach einer Anlaufstelle, die einem hier unter die Arme greift. Immerhin geht es um nicht weniger als die berufliche Lebensstellung.

Was reizt Sie am Beruf des Hausarztes besonders?

Ich komme aus der Krankenpflege und habe deshalb einen besonderen Bezug zur erwähnten hausärztlichen „Basis“.

Als Hausarzt wird man in erster Linie als Mensch und Persönlichkeit gefordert, man wirkt und agiert mit seiner persönlichen Eigenart und mit diesem Werkzeug heilt man auch, oder aber man schadet damit, was einem tagtäglich empfindlich zurückgespiegelt werden kann. Ich finde diese Tatsache faszinierend und unglaublich herausfordernd, denn dieser Prozess der selbstkritischen Entwicklung in seinem Arztsein endet nie, er ist eine Lebensaufgabe.

Man behandelt den Patienten nicht nur, man begleitet ihn. Folglich übernimmt man viel mehr Verantwortung, muss viel mehr Sorgfalt aufbringen, denn man steht in einer dauerhaften Beziehung zu den Menschen, die sich einem anvertraut haben. Dieses Vertrauen gilt es wertzuschätzen und behutsam zu behandeln.

Daneben ist die unglaubliche Vielfalt des Hausarztberufes einfach faszinierend. Natürlich wird einem nach der zehnten Erkältung auch mal langweilig, aber dazwischen springt man zwischen Prostatitis, unklarem Ekzem, psychovegetativer Erschöpfung, Angina pectoris, Pneumonie, Sucht, neurologischen Symptomen etc. hin und her. Man kann sich sozusagen austoben und lernt wirklich nie aus. Als Hausarzt muss ich mich ständig auf dem neuesten Stand halten, um qualitativ hochwertig beraten zu können. Wem das zu langweilig wird, dem ist nicht zu helfen.

Oft werden die Verdienstmöglichkeiten als Ursache des Interessenschwundes beim Nachwuchs genannt. Ich kann nur sagen, ich bin eine Frau und habe Familie. Karriere mit exorbitantem Verdienst war noch nie mein oberstes Ziel. Dennoch hat man als Hausarzt ein mehr als gutes Auskommen. Aber „zu Tode buckeln“ will ich mich um des rein materiellen Erfolges sicher nicht.

Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch, Frau Dr. Bellert.